- 21. April 2016 -

GELIEBTE TORTOUR!

TAGEBUCHEINTRAG AM VORLETZTEN TAG IN SRI LANKA:

Meine Füße rutschen dauernd weg, weil die Steine über die ich stolpere dicht von Pflanzen überwuchert sind. Das Objektiv der Kamera ist ständig beschlagen. Der schmale Pfad durch die aufgeweichte Erde im Dschungel ist steil. Schweiß läuft mir über mein Gesicht, in die Augen und brennt. Ich kann mich nicht erinnern, ob mein T-Shirt überhaupt jemals trocken war. Ich atme schwer. Es fühlt sich an, als ob meine Lunge kaum Sauerstoff bekommt. Und frage ich mich: Was bitteschön hab ich hier eigentlich zu suchen? Es gibt doch Orte, die so viel angenehmer sind, als der letzte urzeitliche Tieflandregenwald von Sri Lanka. Warum liege ich nicht gemütlich ein Buch lesend an einem der wunderschönen singhalesischen Badestrände und lasse mir die Sonne auf den Pelz brennen?

Ist doch klar: Weil ich tatsächlich viel lieber hier bin…

Alles auf Anfang: Das keine hundert Kilometer von den eben erwähnten wunderbaren Stränden entfernte Dorf Kalawana, in dem ich für die nächsten 2 Tage untergekommen bin, ist feucht und moderig. Wolken hängen tief und dunkel am Himmel. Dennoch sehe ich ihn, den Sinharaja Rain Forest, den immergrünen Urwald. Direkt von meinem Balkon aus (der im Übrigen das Beste in meiner Unterkunft ist) habe ich eine unbeschreibliche Aussicht auf den Regenwald. Und ich staune…

Es regnet. Heißt ja auch Regenwald. Obwohl er eigentlich Schüttwald heißen müsste. „Kann ich morgen überhaupt im Wald wandern?“ „Gar kein Problem“, sagt Mr. Dharmasena, mein Fahrer. Der Buddhist grinst breit, hat eh nie ein Problem. Und ich beobachte währenddessen die dicken prasselnden Tropfen. Tags darauf ist es schwülwarm aber nicht wirklich unangenehm und ich bin begeistert von den Bäumen, die bestimmt 50 oder gar 60 Meter hoch aufragen. Am sehr frühen Morgen kämpft sich unser kleines, klappriges Auto über eine holperige Straße (die den Namen Straße erst gar nicht verdient) und Mr. D. umfährt virtuos die Löcher und Pfützen, die groß wie Mondkrater sind. Doch wir erreichen den Eingang des Nationalparks zum Glück unbeschadet.

Ich wandere los. Sofort ist es dunkler und lauter und ich kann durch das dichte Geäst der Bäume kaum mehr den Himmel sehen. Vögel, Insekten und Affen zwitschern, zirpen und japsen durch die Bäume. Es ist noch feuchter, die Pflanzen wachsen dicht, grün und undurchsichtig. Ich bekomme eine leise Ahnung davon, was der Begriff „unberührte Natur“ tatsächlich bedeutet. Im Regenwald. Im Urzustand der Welt.

Auf meinem Weg durch den Dschungel werde ich von einem Ranger, Kalum, begleitet. Kalum grabbelt alles an, lässt mich riechen und fühlen. Er zeigt mir einen fetten Tausendfüßler, der sich in seiner Hand zusammenringelt. Er reibt die Blätter eines Strauchs zwischen den Fingern und ich glaube in einer Parfümerie zu stehen. Der junge Bursche im grauen T-Shirt und den verschlissenen Wanderlatschen kennt jede Frucht und jede Pflanze beim Namen und ich höre seinem lustigen Englisch sehr gerne zu und frage ihm Löcher in den Bauch.

Der König des Waldes, der Leopard, ist selten geworden. „Du siehst ihn nie, nur nachts. Aber da kannst du ihn ja auch nicht sehen“, sagt Kalum. Ein weiteres Beispiel für die unbedarfte aber sehr bestechende Logik der Singhalesen. „Dort oben, ein Hutaffe.“ Ich entdecke ihn erst, als er sich bewegt. Auf einem Palmblatt döst eine Agame mit knallrotem Kopf – die sehe ich gleich! Dann zeigt mir Kalum eine Nasen-Peitschennatter die gerade im Gebüsch verschwinden will. Die Schlange ist quietschgrün, und auf meine Frage, ob sie giftig sei antwortet Kalum lapidar: Oooch, nur ein bisschen.

Wenig bis gar keine Faszination dagegen erzeugen die Blutegel, die in Myriaden auf den Steinen sitzen und sofort am Schuh festkleben, wenn man nur für einen klitzekleinen Augenblick stehen bleibt. Sie glitschen dann zur nächsten freien Hautstelle und saugen sich umgehend fest. Ziemlich unangenehm, aber keineswegs gefährlich. Aber ich finde es definitiv nicht witzig – zieh die Viecher ab, rolle sie wie ein Kaugummipapier zusammen und schnipse sie weg. Bä.

Später holt uns dann doch noch der Regen ein. Außer dem heftigen Prasseln des Regens kann man dann kein anderes Geräusch mehr hören. Die Luft ist so frisch, dass man das Atmen ganz bewusst wahrnimmt. Dann reissen für einen ganz kurzen Moment die Wolken auf und ein paar Atemzüge lang bricht sich das Sonnenlicht durch die unzähligen Wassertropfen in fantastische Farben…

Und einmal mehr wird mir glasklar: Hier im Regenwald bin ich einfach daheim.