Von Tulear nach Morondava ist’s nur eine Flugstunde gen Norden. Eigentlich. Wenn nicht ausgerechnet „Misjö le Schenerall“ an diesem Morgen dringend in den Süden müsste. Das ist für ihn kein Problem, weil er kann ja das Flugzeug nehmen, in das wir gerade eingestiegen sind und wir machen eben für ihn einen kleinen Umweg. Also: Ab in den Süden. Wir dürfen dabei sein, wenn der Herr Minister mit sämtlichen militärischen Ehren und viel Blasmusik in Fort Dauphin empfangen wird. Dabei erhaschen wir einen kurzem Blick auf die wunderschöne und aussergewöhnlich grüne und hügelige Regenwald-Landschaft am südlichenEnde Madagaskars.
Nach diesem Exkurs landen wir tatsächlich irgendwann an unserem ursprünglich geplanten Bestimmungsort. In Morondava steigen wir um in unsere Jeeps und freuen uns wie Bolle auf die vor uns liegende Tour. Wir fühlen uns auf den holperigen Sandpisten ziemlich sicher und sind recht beeindruckt von der definitiv unbekümmerten Fahrweise im unwegsamen Gelände. Möglicherweise hat das auch damit zu tun, dass unser Fahrer ein lecker französisches Schokoladencrossant ist und meine Freundin Urse und ich abwechselnd Stielaugen bekommen… Als wir dann mitten in der Wallachei anhalten, treibt es uns die Schweissperlen auf die Stirn. Nicht, weil es draußen bereits wieder brüllend heiß ist, sondern weil uns nach einem seltsamen Geräusch plötzlich der linke Hinterreifen überholt, um dann ganz gemächlich ins Dornengebüsch zu kullern.
Das dürfte jetzt definitiv nicht nur der übliche Platten sein, mutmaße ich. Da hätten wir schliesslich schon Routine.Nein, die Achse ist gebrochen – und langsam sickert eine hässliche braunschwarze Brühe in den roten Sand. Kein Mensch weit und breit. Heimlich checken wir unsere Wasservorräte. „Mora – Mora“ – die oberste Devise aller Madegassen heißt frei übersetzt: „nur die Ruhe kann es bringen“. Also versuchen wir es gelassen zu nehmen. Dennoch ist es sehr unwahrscheinlich, dass hier jemand vorbei kommt, der uns aus der Misere helfen könnte, denn ausser verdörrtem Gestrüpp und einer Sandpiste, die in der Hitze flimmert kann ich nichts und niemanden entdecken. Hilfe anrufen?! Ich schiele verstohlen auf mein Handy – kein Netz, klar. Aber hey! Mora – Mora, wie schon gesagt. Ich stecke ganz cool mein Handy wieder ein und wir setzen uns irgendwo in den staubigen Schatten und warten. Glücklicherweise vermisst uns der zweite Jeep irgendwann – kommt tatsächlich zurück. Wir laden die Rucksäcke um und quetschen uns in den Jeep – nicht ohne lange beratschlagt zu habe, was jetzt zu tun wäre.
An einem kleinen Dörfchen zwischen Baobabs und Dornengestrüpp gelegen halten wir wieder an. Die Männer steigen aus, um mit dem Dorfältesten ein „kabary“ abzuhalten. Die Leute lieben Rezitationen und Ansprachen, die sich oft zu einem langen, sehr langen Diskurs entwickeln. Ein „kabary“ beginnt immer mit einer langatmigen Entschuldigung des Redners, weil er das Wort ergreift, wo er doch der geringste unter den Anwesenden sei und nichts aber so rein gar nichts zu sagen habe. Danach werden die Anwesenden begrüsst, mit allen Titeln und Namen und ihre Präsenz wird wortkräftig bedankt. Der Kern der Aussage, der oft nur einen geringen Teil des kabary einnimmt, wird dann weitschweifig umrundet, langsam eingekreist, eingebettet in blumige und bildhafte Wortwendungen. Uns geht es darum einen Wächter für das Auto zu finden, der aufpasst, dass sich das Fahrzeug nicht in Einzelteile verflüchtigt, während unser Fahrer mit dem Ochsenkarren nach Morondava zurückkehrt, um Ersatzteile zu finden. Das kann dauern.
Währendessen werden Urse und ich von den Kindern aus dem Dorf bemerkt. Sie mustern uns neugierig – wenn auch aus einiger Entfernung. Ich möchte mich gern mit ihnen vertraut machen, steige aus und eines der vorwitzigsten von allen, ein hübsches Mädchen, nimmt sofort Reißaus! Dabei wollte ich ihr als „Eisbrecher“ nur ein Bonbon geben. Aber sie traut sich nicht näher. Ich stecke es mir selbst in den Mund und das Bedauern, das sich im Gesicht des Mädchens abzeichnet ist unbeschreiblich. Das 2. Bonbon nimmt sie sich schnell und auch die anderen rücken ein bisschen auf. Sie kichern und glucksen und nachdem es jetzt keine Bonbons mehr hat, versuche ich mich mit den Kindern zu unterhalten…mit Händen und Füßen. Ich versuche ihre Namen herauszufinden und sie lachen und drängeln fröhlich – es ist einfach herrlich. Und über die komischen Geräusche – die unsereins „Schwäbisch“ nennt, werfen sie sich vor Lachen fast in den Sand. Urse und ich zeigen ihnen ein Spiel, das bei uns zu Hause jedes Kind kennt. Man steht sich gegenüber und klatscht abwechselnd in die Hände des Gegenüber und auf die eigenen Schenkel – man wird immer schneller und wer zuerst aus dem Takt kommt, hat verloren. Die Kinder sind begeistert.Fasziniert haben sie uns beobachtet und noch aufregender wird es, als ich das „mutige“ Mädchen auffordere mit mir zu spielen. Jetzt geht’s los! Jedes einzelne der Knirpse will mir beweisen, wie gut es das kann, sie drängeln und schubsen – und sie konzentrieren sich unbändig. Das Gegacker und Gelächter dabei ist eine wahre Wonne. Die kleinen klebrigen Hände klatschen an meine und ich kichere nicht weniger als die Mädchen!
Die Verhandlungen sind abgeschlossen. Die Männer kommen zurück und steigen schnell ein. Sie wollen sofort los – keine Zeit zu verlieren. Oh, ich bin aber noch nicht durch – und wir haben doch so viel Spaß… Wie gerne wollte ich noch bleiben. Salama! Veloma… ich muss leider… und springe ins Auto das bereits vor Ungeduld langsam losfährt. Ich winke durchs Fenster, verdreh mir den Hals um einen letzten Blick aufs Dorf zu erhaschen, das schnell in unserem aufgewirbelten Staub verschwindet. Das fröhliche Kinderlachen habe ich ganz fest in meinem Herz verwahrt.
Es ist immer noch ein weiter Weg, den wir bis zur „Route des Baobabs“ vor uns haben. Die Schatten werden immer länger, ich rutsche nervös auf dem Autositz hin und her. Ich möchte so gern die Baobab-Allee im Licht der untergehenden Sonne fotografieren. Es ist eines der Traumbilder, die sich in meinem Kopf festgebrannt haben – und auch einer der Hauptgründe, warum ich mich auf den Weg nach Madagaskar gemacht habe. Im letzten Tageslicht erreichen wir die Allee. Sofort nimmt mich der Zauber der untergehenden Sonne, die hinter den knorrigen Riesen versinkt, gefangen. Die gigantischen Bäume ragen bis zu 30 Meter hoch und sind bereits über 1.000 Jahre alt. Was haben sie nicht schon alles gesehen! Und was würde ich drum geben, wenn sie mir doch nur davon erzählen könnten… Es fällt mir ein Satz von Khalil Gibran ein, der mir passend erscheint: „Bäume sind Gedichte, die die Erde in den Himmel schreibt… “ und ich fühle mich, als wäre ich nicht von dieser Welt. Oh, wie zauberhaft ist Madagaskar.
Und von Morondava nach Antananrivo ist es auch eine Flugstunde. Eigentlich. Aber das ist eine andere Geschichte.